Mit sachlicher Counter Speech gegen Hasskommentare im Netz: ein Interview mit Alex Urban von #ichbinhier

Person mit traurigem Smiley vorm Gesicht wegen Hasskommentaren im Netz

Eigentlich wollte ich diesen Blogartikel mit ein paar haarsträubenden Zitaten von Hasskommentaren einleiten. Um zu zeigen, wie manche Menschen im Internet, vor allem in sozialen Netzwerken, ihrem Frust freien Lauf lassen.

Aber dann dachte ich mir: Warum diesen Menschen eine Bühne geben?

Reicht es nicht, dass sie die digitale Luft dermaßen verpesten, dass wir meinen könnten, ihre Meinung sei die der Mehrheit?

Laut einer forsa-Umfrage sind schon zwei Drittel aller deutschen Internetnutzer mit Hasskommentaren in Berührung gekommen. Aber nicht einmal ein Fünftel von ihnen hat auf einen dieser Kommentare geantwortet.1

Wie sieht es bei Dir aus? Ich bleibe meistens still, das muss ich zugeben. Oft ist es doch so, dass wir Angst davor haben, selbst zur Zielscheibe zu werden.

Also schweigen wir lieber. Doch genau dadurch entstehen verzerrte Meinungsbilder. Hater sind lauter als stille Mitleser.

Diskussionen wieder zu versachlichen, damit ein ausgewogenes, realeres Meinungsbild entsteht – das hat sich die Facebook-Gruppe #ichbinhier auf die Fahnen geschrieben. Seit ihrer Gründung durch den Hamburger Kommunikationsberater Hannes Ley im Dezember 2016 ist sie mittlerweile auf rund 37.800 Mitglieder (Stand April 2018) angewachsen.

Ich habe mit Alex Urban, der die Gruppe seit September 2017 als Admin leitet, darüber gesprochen, was es mit Hate Speech im Netz auf sich hat, was die Gruppe genau macht, welcher Kritik sie ausgesetzt ist und was Du selbst gegen Hasskommentare tun kannst.

 

Alex Urban kämpft mit #ichbinhier gegen Hasskommentare im NetzAlex, wenn jemand Euch noch nicht kennt: Was macht Ihr genau und wie seid Ihr organisiert?

#ichbinhier ist eine überparteiliche Aktionsgruppe auf Facebook, die sich dafür einsetzt, die Diskussionskultur zu verbessern. Jeder kann seine Meinung schreiben, es gibt keine Vorgaben, aber es muss sachlich sein. Es gibt zirka 20 bis 25 ModeratorInnen, die in verschiedenen Bereichen aktiv sind: Medien scannen, die „Tür“ kontrollieren (also den Einlass in die Gruppe regulieren) und StarterInnen, die Aktionen innerhalb der Gruppe starten, also beispielsweise in der Gruppe einen Beitrag einer Medienseite (zum Beispiel einen BILD-Artikel über Ausländerkriminalität) zu posten, unter dem unsachlich oder aufhetzend kommentiert wird.

Gab es einen bestimmten Anlass für die Gründung der Facebook-Gruppe?

Hannes Ley hat die Gruppe nach dem Vorbild der schwedischen Gruppe gegründet. Anlass, so sagt er, war die Wahl Trumps, der Brexit und ein Shitstorm gegen seinen guten Freund Gerald Hensel von Fearless Democracy e.V. Aber natürlich auch allgemein das Bild in den Kommentarspalten, das immer hässlicher wurde: Gegenrede wurde sofort niedergemacht.

Wodurch zeichnet sich das „Hate Speech“-Phänomen aus?

Eine klare Definition von „Hate Speech“ ist nicht ohne Weiteres möglich, da es nicht immer einfach ist, zum Beispiel Wut und Hass voneinander zu trennen. Ich nutze deswegen dafür öfter die Bezeichnung „(auf-)hetzende Kommentare“. Es wird dabei über verschiedene Wege Stimmung gegen bestimmte Gruppen gemacht: zum Beispiel über Halbwahrheiten, aus dem Zusammenhang gerissene Statistiken, aber auch über eine Veränderung der Sprache (Sarkasmus, Zynismus: „Rape-Fugees“, „Goldstückchen“). Das Ziel ist dabei immer die Herabwürdigung einer bestimmten Gruppe.

Wie findet Ihr heraus, wo Ihr gerade „gebraucht“ werdet?

Hinter den Kulissen durchsuchen wir den ganzen Tag die Facebook-Auftritte unterschiedlicher Medien nach Artikeln, unter denen unsachliche, pauschalisierende, (auf-)hetzende und/oder herabwürdigende Kommentare stehen. Finden wir Artikel, die gewisse Kriterien erfüllen, posten wir den Artikel in der Gruppe und bitten um Kommentare auf der jeweiligen Facebook-Seite. Die Teilnahme ist freiwillig. Es gibt keine Vorgaben, jeder kann schreiben, was seiner Meinung entspricht.

Wir kommentieren nur auf Medienseiten, die mehr als 100.000 Follower haben, ganz gleich welcher politischen Ausrichtung. Wir gehen auf keine privaten Seiten oder Parteiseiten. Es gibt aber Ausnahmen (zum Beispiel Shitstorms), wo wir Personen des öffentlichen Lebens oder NGOs zur Seite springen, zum Beispiel den Dresdner Philharmonikern, dem Kinderkanal oder Margot Käßmann.

Wie definiert Ihr Hetze?

Das ist der schwerste Teil, denn wir versuchen schon, berechtigte Wut, Kritik und auch zum Teil Zynismus im Sinne von schwarzem Humor von Hetze abzugrenzen. Wir halten uns da an den Duden, der Hetze als „Gesamtheit unsachlicher, gehässiger, verleumderischer, verunglimpfender Äußerungen oder Handlungen“ bezeichnet, „die Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden oder etwas erzeugen“. Da die Sprache immer subtiler und perfider wird, wird es auch schwerer, eine Abgrenzung zu finden. Wenn wir unsicher sind, starten wir keine Aktion.

Zudem haben wir für uns festgelegt, überparteilich zu agieren, das heißt, wir bewerten keine Politik. Wir bewerten aber schon Äußerungen von Politikern oder gegen Politiker bzw. die Reaktionen darauf in den Kommentaren.

Wo findet Ihr im Netz besonders viele Hasskommentare? Was erzürnt User am meisten?

Am meisten werden die User bei emotionalen Themen angeheizt: Flüchtlingsdebatte, Ausländerkriminalität, aber auch bei Äußerungen von (vor allem grünen) Politikern oder von der Regierung allgemein. Im Prinzip immer da, wo es vermeintlich „gegen das eigene Volk“ geht und andere etwas wegnehmen können.

Aus Eurer Perspektive: Was treibt Menschen dazu, ihrer Wut und ihrem Hass in sozialen Netzwerken so krass Ausdruck zu verleihen?

Da gibt es mehrere Gründe: Einige Leute denken zum Beispiel „Endlich darf ich das mal sagen und man hört mir zu.“ Oder ihr Hass resultiert aus eigener Unzufriedenheit und dem Neid auf andere („Die bekommen was geschenkt, aber wir?!“). Außerdem entsteht eine Art Gruppenzugehörigkeit mit anderen Meckerköpfen. Und es gibt auch eine tatsächliche (und in Teilen) nachvollziehbare Wut auf die Regierung, zum Beispiel durch ein subjektiv gesunkenes Sicherheitsgefühl oder das Gefühl, gesellschaftlich abgehängt worden zu sein.

Neben den eben genannten möglichen Gründen gibt es natürlich auch die koordinierten Versuche, Meinung zu machen und Menschen gegeneinander aufzuhetzen. In geheimen Facebook-Gruppen oder anderen Netzwerken werden Kampagnen gestartet, die das Ziel haben, Halbwahrheiten und Fake News zu streuen oder Misstrauen gegenüber Journalisten sowie Menschen anderer Kulturen zu säen.

Wenn jemand bei Euch mitmachen will – welche Voraussetzungen sollte er/sie mitbringen?

Er/sie sollte nur an sachlichem Austausch interessiert sein. Wenn jemand aufhetzende Artikel teilt oder likt, dann kommt er/sie nicht rein. Auch Fake-Profile lassen wir nicht rein.

Welche konkreten Strategien wendet Ihr an, um mit „Counter Speech“ ein Gegengewicht zu bilden und wann ist in einer Situation Euer „Ziel“ erreicht?

Jedes Mitglied hat seine eigene Strategie: Humor, Sachlichkeit, reine Zahlen oder auf das Gegenüber eingehen. Ein definiertes Ziel gibt es nicht: Wir versuchen so gut es geht, den Ton einer Kommentarspalte zu versachlichen. Im besten Fall entstehen Diskussionen, aber oft werden wir in eine Rechtfertigungsposition gedrängt, denn nicht jeder mag die Gruppe.

Ja, Ihr werdet unter anderem als „Meinungspolizei“ angefeindet. Was sind denn die größten Kritikpunkte an Euch und wie geht Ihr damit um?

Die größten Kritikpunkte sind das gegenseitige Liken und der Vorwurf der Relativierung. Ich kann beides auf den ersten Blick nachvollziehen, aber auf den zweiten Blick wiederum nicht.

Was das Liken angeht: Das ist von Anfang an so kommuniziert. Wir wollen auch keine sachlichen Diskussionen unterbinden oder sachliche Kommentare „wegliken“. Unser Ziel ist es, die aufhetzenden Kommentare unsichtbar zu machen, so dass ein ausgewogenes und sachliches Bild für den stillen Mitleser entsteht.

Analysen zeigen, dass fünf Prozent von in Kommentarspalten aktiven Accounts für zirka 50 Prozent der Likes, die an aufhetzende Kommentare vergeben wurden, verantwortlich sind. Das nenne ich Meinungsmache bzw. Meinung setzen: Es soll ein Meinungsbild suggeriert werden, das so nicht vorhanden ist bzw. wäre.

Wir wiederum haben festgestellt, dass wir (in Abhängigkeit der Medien) einen Anteil an stillen Mitlesern von zirka 70 Prozent haben, das heißt, 70 Prozent der likenden Accounts stammen nicht aus der Gruppe. Das nenne ich nicht Meinungsmache, sondern vielmehr eine digitale Zivilgesellschaft.

Und was ist mit dem Vorwurf der Relativierung?

Relativieren meint, etwas in ein Verhältnis zu setzen. Das ist der erste Schritt, um eine sachliche Diskussion zu starten. Relativieren ist also per se erstmal nichts Schlechtes. Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, wir würden Täter schützen oder deren Gewalt gutheißen, ist einfach nur lächerlich und ein schlechter Framing-Versuch, auch wenn natürlich Probleme angesprochen und benannt werden müssen.

Die Mitglieder der Gruppe bzw. die Gruppe sollen in eine Schublade gesteckt werden, mit dem Ziel, dass die Kommentare letztlich nicht mehr ernst genommen werden sollen. Zum Beispiel wird uns vorgeworfen, wir seien eine Sekte, die sich vor die Täter anstatt vor die Opfer stellt, was natürlich hanebüchener Unsinn ist. Das Image der Gruppe soll geschädigt, die Gruppe negativ besetzt und die Mitglieder unglaubwürdig gemacht werden. Das wird nun schon sehr lange versucht, aber wir lassen uns nicht beirren. Die Kommentare sind sehr häufig zu gut und stehen für sich.

Welche Effekte beobachtet Ihr seit dem Start der Facebook-Gruppe? Habt Ihr „Erfolge“ zu vermelden?

Der größte Effekt ist wohl, dass wir dazu beigetragen haben, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit bekommt. Im besten Falle haben wir darüber hinaus einige Menschen dazu inspiriert, aufzustehen, den Mund aufzumachen und Haltung zu zeigen.

Viele meiner Leser betreiben selbst Blogs und Facebook-Seiten. Wie können sie mit Hasskommentaren am besten umgehen?

Selbst moderieren, Fragen stellen, aber auch löschen und blocken, wenn jemand gegen die definierte Netiquette gravierend verstößt.

Ich danke Dir, lieber Alex, für das spannende Interview und wünsche Eurer Gruppe weiterhin viel Erfolg im Kampf gegen den Hass im Netz.

Hast Du schon mal mit Hasskommentaren zu tun gehabt? Erzähl mir gern von Deinen Erfahrungen in den Kommentaren!

Fußnoten

  1. Umfrageergebnisse der forsa zu der Frage, wie die Deutschen mit Hate Speech im Netz umgehen.

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